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Oktober 20, 2025
Clara Hoffmann
Wie viele Sexpartner sind „normal“ – und warum der Body Count mehr über uns verrät, als wir denken
Sexpartner, Zahlen, Vergleiche – kaum ein Thema wird in Beziehungen so oft verschwiegen und gleichzeitig so stark überbewertet wie der sogenannte Body Count. Er bezeichnet die Zahl der Sexualpartner, die jemand im Laufe seines Lebens hatte. Was nach einer banalen Statistik klingt, ist längst zu einem psychologischen Brennglas geworden, das unsere Haltung zu Nähe, Vertrauen und Selbstwert offenlegt. Laut einer repräsentativen Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA, 2025) liegt der Durchschnitt in Deutschland bei 6 bis 8 Sexualpartnern. Männer geben im Schnitt mehr an als Frauen, und Menschen in Großstädten berichten doppelt so häufig von wechselnden Partnerschaften wie Bewohner ländlicher Regionen. Für viele ist diese Zahl mehr als nur Vergangenheit – sie wird zu einem Maßstab für „Erfahrung“, Attraktivität und Beziehungsfähigkeit. Doch Psychologen warnen: Hinter der Fixierung auf Zahlen steckt selten Neugier, sondern Angst.
Die Redaktion von GlückID.de hat dazu mit Therapeuten und Psychiatern gesprochen, die täglich mit den Folgen dieser Vergleichsmentalität konfrontiert sind. Ihre Diagnose ist eindeutig: Der moderne Mensch zählt, weil er sich selbst nicht spürt. „In einer Gesellschaft, die alles misst – Einkommen, Likes, Kalorien, Leistung –, wird selbst Intimität zur Zahl“, sagt der Berliner Psychiater Prof. Dr. Armin Keller. „Doch Liebe beginnt dort, wo die Statistik endet.“
Warum Menschen überhaupt zählen – und was Sie daraus lernen können
Der Drang, zu wissen, wie viele Sexpartner jemand hatte, wirkt auf den ersten Blick banal – tatsächlich verrät er viel über unser psychologisches Bedürfnis nach Sicherheit, Kontrolle und Selbstbestätigung. In Zeiten von Dating-Apps und öffentlicher Selbstinszenierung wird Sexualität messbar gemacht wie ein Lebenslauf. Doch was suchen wir wirklich hinter dieser Zahl?
„Der Wunsch, die Vergangenheit eines Partners zu kennen, ist ein Versuch, Kontrolle zu gewinnen“, erklärt die Münchner Sexualtherapeutin Dr. Heike Melzer. „Hinter der Frage nach dem Body Count steckt meist die Angst, nicht zu genügen – oder mit jemandem konfrontiert zu werden, der emotional schwer greifbar ist.“
Laut einer Umfrage des Allensbach-Instituts (2024) haben 43 Prozent der Befragten ihren eigenen Body Count bewusst verschwiegen oder geschönt. Die Motivation: Angst vor Bewertung, Verlust von Ansehen, Scham. Besonders Frauen erleben dabei weiterhin eine Doppelmoral. „Männer werden für viele Partner bewundert, Frauen dafür verurteilt“, sagt Melzer. Diese gesellschaftliche Schieflage führt laut Therapeuten zu Scham, Misstrauen und falscher Selbstinszenierung – vor allem in den ersten Phasen neuer Beziehungen.
Doch das Thema kann auch praktisch hilfreich sein, wenn man es bewusst reflektiert. Psychologen empfehlen drei Strategien:
Eigene Werte klären: Fragen Sie sich, was Sexualität und Nähe für Sie bedeuten – nicht für die Gesellschaft.
Offen, aber achtsam sprechen: Ein Gespräch über Vergangenheit kann Vertrauen schaffen, wenn es respektvoll bleibt.
Nicht vergleichen, sondern verstehen: Die Erfahrung des anderen ist kein Maßstab, sondern eine Geschichte, die erklärt, wer dieser Mensch heute ist.
Wer seinen Fokus von Zahlen auf Gefühle lenkt, gewinnt emotionale Stabilität. Studien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN, 2025) zeigen: Menschen, die weniger vergleichen, berichten über deutlich höhere Beziehungszufriedenheit und innere Ruhe.
Wie es der Psychiater Prof. Dr. Armin Keller zusammenfasst:
„Zählen schafft Illusionen von Kontrolle – Verständnis schafft Nähe.“
Was Psychiater über die Fixierung auf Zahlen sagen
Die Obsession mit dem sogenannten Body Count ist für viele Psychiater längst kein Randphänomen mehr, sondern ein Symptom unserer leistungsgetriebenen Zeit. Der Berliner Psychiater Prof. Dr. Armin Keller beschreibt sie als Ausdruck eines gesellschaftlichen Vergleichsreflexes:
„Wir leben in einer Ära permanenter Bewertung – Einkommen, Likes, Fitness, Sexualität. Alles wird gezählt, um Bedeutung zu schaffen. Auch der Body Count ist ein Versuch, aus Zahlen Identität zu formen.“
Laut Keller beobachtet man in seiner Praxis immer häufiger, dass Patientinnen und Patienten ihre Beziehungen in quantitativen Kategorien denken: Wie viele Partner hatte mein Gegenüber? Wie oft, wie lange, wie intensiv? Diese Fixierung, sagt er, hat weniger mit Sexualität als mit Kontrolle zu tun – sie berührt den Kern des modernen Selbstwerts.
„Wer den Wert des eigenen Begehrens an einer Zahl misst, sucht Bestätigung im Außen. Dahinter steckt oft Angst vor Ablehnung oder Verlust“, so Keller.
Auch Psychotherapeutin Dr. Martina Vogt aus Hamburg sieht darin ein wachsendes Problem: „Die Fixierung auf Zahlen ist ein Abwehrmechanismus gegen emotionale Unsicherheit. Statt sich verletzlich zu zeigen, flüchten Menschen in Daten, Vergleiche und Rankings. Das erzeugt Distanz – nicht Nähe.“
Neuere Forschungsergebnisse der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN, Bericht 2025) bestätigen diese Beobachtung: Über 60 Prozent der Befragten geben an, in neuen Beziehungen durch Social-Media-Vergleiche und frühere Partner des Gegenübers unter Druck zu geraten.
Keller fasst das Phänomen so zusammen:
„Die Zählung wird zum Schutzschild gegen Intimität. Doch wer die Vergangenheit eines anderen kontrollieren will, verliert den Blick für das, was im Jetzt entsteht.“
Gibt es überhaupt ein „normal“?
Laut RKI-Studie (2025) variiert der Body Count je nach Region und Altersgruppe erheblich:
Menschen zwischen 25 und 35 Jahren: durchschnittlich 9 Partner
35 bis 50 Jahre: 7 Partner
über 50 Jahre: 5 Partner
Städter liegen rund 40 % über dem Landdurchschnitt
Psychologin Sabine Rausch erklärt das Phänomen so:
„In Städten ist Sexualität sichtbarer, Dating-Apps machen Begegnungen flüchtiger. Der schnelle Wechsel erzeugt emotionale Oberflächlichkeit – gleichzeitig wächst das Bedürfnis nach echter Nähe.“
Normalität, sagt sie, sei „kein mathematischer Wert, sondern eine Haltung: Wer seine Sexualität bewusst lebt, ist unabhängig von der Zahl im Reinen mit sich.“
Social Media, Scham und neue Offenheit
Plattformen wie TikTok oder Instagram haben die intime Frage in einen globalen Wettbewerb verwandelt. Hashtags wie #bodycountcheck erzielen Millionen Aufrufe. Doch Experten sehen darin eine gefährliche Entwicklung.
„Intimität wird zu einem Markenzeichen, das man öffentlich ausstellt“, so Rausch. „Was früher privat war, wird heute performt.“ Gleichzeitig ermögliche diese Offenheit aber auch neue Formen der Aufklärung über Sexualität und Geschlechtskrankheiten – sofern sie reflektiert bleibe.
Die häufigsten psychologischen Fehler
Vergleiche mit der Vergangenheit: Sie zerstören Vertrauen.
Moralische Urteile: Sie blockieren sexuelle Selbstbestimmung.
Fehlende Kommunikation: Sie schafft Unsicherheit statt Nähe.
Ignorieren von Scham: Wer alles zeigen will, verliert innere Grenzen.
Verwechslung von Quantität mit Qualität: Viele Begegnungen bedeuten nicht viel Nähe.
Psychiater Keller fasst es nüchtern zusammen:
„Sexualität ist kein Lebenslauf, sondern ein Lernprozess. Wer zählt, der vergleicht – wer liebt, der versteht.“
Checkliste: Reflexionsfragen über sich und den Partner
Interessiert mich die Vergangenheit des anderen – oder meine eigene Unsicherheit?
Warum verbinde ich Erfahrung mit Wert?
Fühle ich mich sicher, wenn ich über Sexualität spreche?
Wie gehe ich mit Scham, Offenheit und Vertrauen um?
Was bedeutet für mich echte Nähe?
Diese Fragen ersetzen keine Zahl, aber sie führen zu einem ehrlicheren Selbstbild – und zu Beziehungen, die nicht auf Statistik, sondern auf Bewusstsein beruhen.
In einer Zeit, in der Dating-Apps, Performance-Druck und Social-Media-Vergleiche Sexualität verändern, bleibt eine Wahrheit bestehen: Nähe entsteht nicht durch Menge, sondern durch Präsenz. Oder, wie Psychologin Rausch sagt:
„Der Körper erinnert sich an Zärtlichkeit, nicht an Zahlen.“
Sex und Leasing: Warum viele Beziehungen heute nach Vertragslogik funktionieren
Sex und Leasing haben auf den ersten Blick nichts gemeinsam – doch Psychologen sehen in beiden Konzepten ein beunruhigendes Muster moderner Partnerschaften. In einer Zeit, in der Bindung oft als Risiko gilt, behandeln viele Menschen Beziehungen wie zeitlich begrenzte Verträge: Man genießt die Vorteile, solange sie bequem sind, und steigt aus, sobald Verpflichtung entsteht. Der Psychotherapeut Dr. Jens Vollmer beschreibt das als „ökonomische Logik der Intimität“. Dating-Apps und soziale Netzwerke verstärken diese Haltung, indem sie Partner vergleichbar machen wie Produkte. Nähe wird zum Nutzenfaktor, Sex zur kurzfristigen Selbstbestätigung.
Echte Bindung, so Vollmer, beginnt dort, wo man aufhört zu kalkulieren. „Liebe ist kein Leasingvertrag. Sie lebt von Vertrauen, Investition und Bereitschaft, auch in schwierigen Phasen Verantwortung zu übernehmen.“ Wer Beziehungen wieder als Begegnung statt als Deal versteht, findet Stabilität – nicht durch Besitz, sondern durch gegenseitige Verlässlichkeit.
Dating-Apps, Affären und die Suche nach echter Nähe
Dating-Apps haben das Kennenlernen revolutioniert – aber auch entzaubert. Psychologen beobachten, dass viele Nutzer zwischen Hoffnung und Erschöpfung pendeln: Auf der einen Seite steht der Traum, „endlich den Richtigen“ zu finden, auf der anderen die Erfahrung ständiger Oberflächlichkeit und Enttäuschung. Der Psychologe Dr. Lukas Reinhardt aus Köln beschreibt das Phänomen so: „Apps geben uns die Illusion von Auswahl, aber sie fördern auch eine Wegwerfmentalität. Viele Menschen verwechseln Aufmerksamkeit mit Zuneigung.“ Laut einer Studie der Universität Leipzig (2024) erleben 58 Prozent der regelmäßigen App-Nutzer nach wiederholten Affären emotionale Erschöpfung oder sinkendes Selbstwertgefühl.
Trotzdem bleibt Hoffnung. Beziehungen, die aus Apps entstehen, können stabil sein – wenn sie bewusst geführt werden. Experten raten zu drei Schritten:
Langsam statt sofort: Nicht jedes Match ist ein Versprechen, sondern eine Einladung, jemanden wirklich kennenzulernen.
Ehrlich kommunizieren: Wer seine Absichten klar ausspricht, zieht Menschen an, die das Gleiche suchen.
Offline testen: Nur persönliche Begegnungen zeigen, ob emotionale Tiefe vorhanden ist.
„Liebe im digitalen Zeitalter verlangt Geduld und Authentizität“, sagt Reinhardt. „Apps können Türen öffnen – aber hindurchgehen muss man selbst.“
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Quellen:
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): „Sexualität und Partnerschaft in Deutschland 2025“
Robert-Koch-Institut (RKI): „Sexuell übertragbare Infektionen – Deutschland 2025“
Institut für Demoskopie Allensbach: „Sexualmoral und Scham im digitalen Zeitalter“ (2024)
Interviews mit Dr. Heike Melzer (München), Prof. Dr. Armin Keller (Berlin) und Dipl.-Psych. Sabine Rausch (Hamburg)
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